D. Sieber: Jesuitische Missionierung

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Titel
Jesuitische Missionierung, priesterliche Liebe und sakramentale Magie. Volkskulturen in Luzern 1563-1614.


Autor(en)
Sieber, Dominik
Erschienen
Basel 2005: Schwabe Verlag
Anzahl Seiten
298 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Francisca Loetz, Institut fuer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

Die Jesuiten hätten, so das Hauptergebnis der Studie Dominik Siebers im Luzern der Gegenreformation, eine zurückhaltende Missionierungspraxis, statt einer streitbaren Seelsorge gepflegt und sich den Verhältnissen vor Ort anzupassen versucht. Diese Grundhaltung muss dem Nichtjesuiten und Historiker Dominik Sieber sympathisch gewesen sein. In seiner Dissertation hält er ein zurückhaltendes und zugleich dezidiertes, «missionarisches» Plädoyer für die Annäherung an den «native point of view» der Luzerner im Sinne der Geertzschen «dichten Beschreibung». Er verzichtet dabei, um eine «geschlossene Theorie im engeren Sinne» (S. 14) zu streiten. Stattdessen zieht er es vor, sich den in Luzern, München und Rom vorhandenen Quellen hermeneutisch anzunähern – dies in kluger Orientierung an zwei konzeptionellen Eckpunkten. Sieber macht sich die heuristische Vorstellung zunutze, dass Volkskulturen als hybride Gebilde im Plural betrachtet werden sollten (M. Dinges) sowie religiöse Angebote sich auf einem Markt behaupten müssten (J. Gerchow). Auf dieser Grundlage will er die «kulturund mentalitätsgeschichtlichen Konsequenzen der gegenreformatorischen Umbrüche » (S. 12) für die zwei Generationen nach dem Tridentinum aufarbeiten. Sieber steckt hierfür drei Themenfelder ab, die exemplarisch für den konfessionellen Alltag der Luzerner Bevölkerung stehen: die Ziele und Auswirkungen der frühen Missionierung der Jesuiten, die Haltung der Laien und Luzerner Priester zum Verbot des Priesterkonkubinats sowie die obrigkeitliche Kriminalisierung «popularer Glaubenspraktiken» in Stadt und Land in Fragen der Gesundheit. Somit knüpft die Arbeit Siebers an aktuelle historisch-anthropologische bzw. kulturgeschichtliche Ausrichtungen der Konfessionalisierungsforschung an, wobei er an dem problematischen Mentalitätsbegriff festhält.

Sieber kombiniert in seiner historischen Feldforschung weltliche mit kirchlichen Dokumenten. Für die Beschreibung der normativen Ebene greift er auf Sittenmandate und Beichtspiegel zu. Die Visitationsakten der Diözese und die Jahresberichte der Jesuiten siedelt er zwischen erwünschten Sollvorstellungen und tatsächlichen Zuständen an. Die Gerichtsakten und Ratsprotokolle sind für ihn diejenigen Dokumente, die «den Verhältnissen vor Ort» am nächsten kommen. Damit trifft Sieber eine ausgewogene Quellenwahl. Den Aussagewert seiner Quellen diskutiert Sieber nicht in einem eigenen methodologischen Kapitel. Vielmehr lotet er am jeweiligen empirischen Beispiel vorsichtig aus, welche interpretatorischen Rückschlüsse seine Quellen erlauben. Er fasst sie zum Ende eines jeden Kapitels verständlich zusammen.

Mit viel Liebe zum aufschlussreichen Detail und zur subtilen Formulierung legt Sieber überzeugend dar, wie die Jesuiten sich zwischen Adaption,Akkomodation und Inkulturation geschickt und erfolgreich zu bewegen wussten: Es sei ihnen als Seelsorger gelungen, die Bevölkerung durch ihr diskretes und wohlwollendes Auftreten für sich zu gewinnen. Hiermit bestätigt Sieber die bisherigen Kenntnisse von der überseeischen Jesuitenmission. In Sachen Priesterzölibat hätten jedoch Jesuiten, kirchliche und weltliche Obrigkeit eine andere Position vertreten als die Gläubigen und die Mehrheit der Luzerner Priester. Bemühten sich Jesuiten und Obrigkeit um die Durchsetzung der tridentinischen Reformvorstellungen, wehrten sich Priester und Gläubige gegen die Aufhebung des Konkubinats. Auch hier vertieft Siebers Arbeit den bisherigen empirischen Forschungsstand zum Tridentinum, indem er nicht nur die Reaktion konkubinär lebender Priester untersucht, sondern auch die Reaktionen der Bevölkerung auf die tridentinische Konkubinatsvorstellung berücksichtigt. Auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge, das bislang nur wenig aus der Konfessionalisierungsperspektive untersucht worden ist, hätten, so Sieber weiter, die Jesuiten auf dem Markt der vielen seriösen und weniger seriösen Angebote erfolgreich agiert. In einer gelungenen «Doppelstrategie» hätten die Seelsorger, in Konkurrenz zu anderen therapeutischen Angeboten, die populare Verwendung von Sakramentalien genutzt und mit dem Sakrament der Beichte derart geschickt verknüpft, dass sie die Bevölkerung an orthodoxe Segensangebote gebunden hätten. Schliesslich hätten allein die Gerichte zwischen orthodoxkirchlichen und popular-magischen Praktiken unterschieden. Diese Entwicklung belege, so die konstruktive und provokative These Siebers, dass die Nähe von kirchlichen und magischen Praktiken als ein Produkt der Gegenreformation zu verstehen sei. Die Jesuiten hätten eine Konfessionskultur befördert, die sich zum einen gegen den Protestantismus und zum anderen gegen den nicht normkonformen Katholizismus hätte abgrenzen müssen.

Die Stärke der Arbeit liegt in der empirisch differenzierten Argumentation, die bereits in der Pluralbildung des Begriffs Volkskultur im Untertitel zum Ausdruck kommt. Voraussetzung dieser empirischen Tiefe ist das Methodenbewusstsein Siebers. Freilich machen gerade diese Stärken auf die Schwächen der Arbeit aufmerksam: Angesichts der Diskussionen um die Implementierung von frühneuzeitlichen Normen durch die Obrigkeit überrascht, dass Sieber die Frage nach der Durchsetzung und nicht nach der Umsetzung der tridentinischen Normen stellt. Sieber spricht zwar von Volkskulturen im Plural, so dass er die überlebte Dichotomie von Elite- und Volkskultur verabschieden kann, doch wird nicht ersichtlich, in welchem Verhältnis Kulturen zu Mentalitäten stehen. Ein eigenes Theorieangebot für den Markt der Kulturgeschichte bleibt aus. Schwierig ist auch die Einschätzung des historischen Wandels, den Sieber in seinem Ausblick auf das 18. Jahrhundert nur andeuten kann, da er sich auf einen engen Zeitraum von gerade vierzig Jahren beschränkt. Auch erschliesst sich der thematische Zusammenhang der sorgfältig ausgewählten Bilder aus dem Text, doch werden die Abbildungen nicht als Bildquellen ausgewertet. Offenbar sollen sie vorwiegend die Funktion erfüllen, das Auge zu erfreuen.

Die Qualitäten des Quelleneditors Sieber kommen im Anhang zum Tragen. Fast fünfzig anschauliche Quellenbeispiele werden hier den Leserinnen und Lesern zur Verfügung gestellt. Die inhaltlichen Zusammenfassungen, die den Texten vorangestellt sind, sowie die Übersetzungen der abgedruckten lateinischen Quellen ins Deutsche machen sie gut zugänglich. Ein ausführliches Namens- und Sachregister erleichtert die weitere Orientierung. Trotz der vereinzelten Schwächen und von der hohen graphischen Qualität des Bandes unterstützt, lädt Sieber die Leserinnen und Leser damit ein, sich von ihm «begeertzen» zu lassen.

Zitierweise:
Francisca Loetz: Rezension zu: Dominik Sieber: Jesuitische Missionierung, priesterliche Liebe, sakramentale Magie. Volkskulturen in Luzern 1563–1614. Basel, Schwabe, 2005. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 357-359.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 3, 2006, S. 357-359.

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